Gott ist kein gnadenloser Versucher

Wer im Skiurlaub gekonnt über die Pisten bügeln möchte, ist gut beraten, sich darauf entsprechend vorzubereiten. Wer seine Muskeln stärkt und seine Bewegungen koordinieren lernt, wird im Nachgang mehr Freude am Skifahren haben. Etwas Ähnliches gilt für Musiker: Begabung allein reicht nicht aus; die Finger, das Gehör oder die Stimme wollen trainiert sein, um fröhlich musizieren zu können. – Zwei Beispiele aus dem Leben, die zeigen, dass man die Mühe nicht scheuen darf, wenn man im Leben vorankommen möchte. Ganz Ähnliches schreibt Corrie ten Boom mit Blick auf die Anfechtungen, die jedes Glaubensleben kennt: „Glaube wird stark im Dunkel der Anfechtung! Fotos werden in dunklen Räumen entwickelt.“ Anfechtungen stellen kritische Wegstationen der Nachfolge dar. Dabei sind 2 Ausgänge denkbar: die Kräftigung des Glaubens durch die Bewährung oder seine Schwächung bis hin zum Verlust.

Was sind Anfechtungen?

Die Bibel bezeugt zwei grundlegende Arten von Anfechtung. Für die erste steht Hiob mit seinem Leiden: Er wird buchstäblich heimgesucht. Besitz, Familie und Gesundheit werden ihm genommen. Diese unfassbaren Verluste treten gleichsam ZWISCHEN Gott und ihn. Dabei ist nicht nur der Schmerz kaum auszuhalten, für Hiob wird die Frage nach der (vermeintlichen) Abwesenheit Gottes zur Qual. Da helfen auch die Erklärungen seiner Freunde nicht weiter. Nicht die gelehrten Ausführungen, sondern erst das höchsteigene Reden Gottes lässt Hiobs Klagen verstummen. Ähnliches können Seelsorger aus ihrer Arbeit berichten, wo eine schmerzhafte Erfahrung für Menschen zum Glaubenshindernis wird.

Eine zweite Art Anfechtung lässt sich mit Eva und der Geschichte vom Sündenfall in Verbindung bringen: Es (oder jemand) tritt NEBEN Gott und wird so zur Versuchung. Eva hat die Wahl zwischen dem Gehorsam gegenüber Gottes Gebot und dem Ungehorsam. Wer den Bericht in Gen 1 liest, kann die Spannung und die Zerrissenheit Evas förmlich mit Händen greifen. Wie sie sich entschieden hat (und sich Menschen verhängnisvollerweise bis heute immer wieder entscheiden), ist hinreichend bekannt.

Woher kommen Anfechtungen?

Wer sich in der Bibel auf die Suche nach Begriffen wie „Versuchung“ oder „Anfechtung“ macht, merkt schnell, dass an verschiedenen Stellen Gott selbst der Urheber davon ist: Er selbst  versucht Abraham, indem er zur Opferung Isaaks auffordert (Gen 22,1), prüft den Gehorsam der Israeliten in der Wüste (Ex 16,4) und lässt mitten unter seinem Volk heidnische Stämme übrig (Ri 3,4). Auch das Neue Testament weiß um die Anfechtbarkeit von Menschen, die von Gott ausgeht, wenn Jesus seine Leute beten lehrt: „Führe uns nicht in Versuchung“ (Mt 6,13). Gott prüft den Glauben seiner Leute! Aber er tut das, um diesen Glauben zu stärken. Durch Prüfungen stellt Gott den Menschen in den Raum der Entscheidungsfreiheit und gibt ihm damit eine unvergleichliche Würde. Gleichzeitig weiß er um die Begrenztheit menschlicher Treue und lehrt uns, angesichts dessen demütig zu bleiben. Deshalb hat die Bitte um die Erlösung vom Bösen im Vaterunser gleich im Anschluss ihren Platz gefunden. Gott ist kein „gnadenloser Versucher“: Selbst da, wo seine Prüfung zum menschlichen Offenbarungseid führt, darf der Mensch auf Gottes Erbarmen hoffen und ihm vertrauen. Deshalb flüchtet sich David, vor eine fürchterliche Wahl gestellt, in die Hand Gottes, statt in Menschenhände (2 Sam 24,14).

Damit ist auch der Unterschied gegenüber Versuchungen deutlich, die satanischen Ursprungs sind. Wenn wir noch einmal an Hiob denken, so tritt die teuflische Bosheit klar zutage: Es geht nicht um eine Prüfung des Vertrauens oder um heilsame Demütigung, sondern um Vernichtung und Verächtlichmachung. Es ist Teil der satanischen Strategie, uns zu einem teuflischen Spiel mit Anfechtungen und Versuchungen einzuladen. Dieses zielt darauf, dass vom Vertrauen zum Vater im Himmel am Ende nichts übrigbleibt.

Und auch dies erwähnt die Bibel: Dass Menschen sich oder anderen zur Versuchung werden. Paulus bezeugt in Apg 20,19, wie sehr ihm der Widerstand seiner jüdischen Brüder zur Anfechtung wurde. Und wer sich selbst ehrlich prüft, wird erkennen, wie die Quelle für böses Denken, Reden und Handeln in ihm selbst sprudelt. Deshalb mahnt Jakobus eindringlich, diese persönliche Verantwortung nicht leichtfertig abzustreiten (vgl. Jak 1,14).

Oft genug wird die Wurzel unserer Anfechtung für uns im Dunkeln bleiben; vielleicht auch deshalb, weil verschiedene Bereiche unauflöslich miteinander verstrickt sind. Gerade in ihrer Anfechtbarkeit wird die Unfreiheit einer gefallenen Menschheit mit Händen greifbar. Es hilft deshalb selten weiter, im konkreten Fall nach dem Urheber der Anfechtung zu fragen. Egal, wo sie ihren Ursprung hat: In jedem Fall ist es richtig, am Vertrauen zu dem dreieinigen Gott festzuhalten.

Was tun in Anfechtung?

Martin Luther schreibt: „Ein jeglicher, der ein rechtschaffener Christ sein will, der gedenke, dass er Christus ohne Anfechtung nicht lernen kann.“

Anfechtung erhält ihren Sinn, wenn sie dazu führt, Jesus tiefer kennenzulernen.

Die Bibel wie auch der Erfahrungsschatz der Christenheit geben uns Werkzeuge an die Hand, die uns dabei helfen.

Wenn wir das Leben und Sterben von Jesus Christus betrachten, kann uns neu aufgehen, welche unermessliche Anfechtung er zu Beginn seines Wirkens und in der Finsternis am Kreuz erduldet hat. Als seine Jünger dürfen wir ihm auf diesem Weg nachfolgen. Da unser Leben dem lebendigen Gott gehört, können wir Anfechtung als Wegführung Gottes annehmen und uns in diese fügen. Vielfach ist unsere Lebensführung auch unserer eigenen Sorgfalt empfohlen. Wer um seine eigenen Schwächen weiß, wird deshalb Versuchungen meiden und sie keinesfalls herausfordern. Das kann nach sich ziehen, dass man bestimmte Personen, Orte oder Gelegenheiten schlicht meidet. Anstelle des Gemiedenen können stattdessen geistliche Übungen treten: Dazu zählt insbesondere (gem)einsames Beten. Wird uns in Anfechtung Schuld (neu) bewusst, ist es eine Hilfe, wenn wir in der Beichte Sünden bekennen und Gottes Barmherzigkeit und Vergebung zugesprochen bekommen. Musik und geistliche Lieder können unseren Blick über unsere Schwäche hinaus lenken und trösten. Anfechtung nimmt unser Denken und Fühlen gefangen. Weil unser innerer und unser äußerer Mensch miteinander zusammenhängen, hilft es, wenn wir körperlich aktiv werden, beispielsweise indem wir arbeiten oder Sport treiben. Dazu zählt auch, wahrzunehmen, wie reich uns Gott auch noch in unserer Anfechtung – beispielsweise mit Nahrung, Kleidung, Frieden, Familie und Freunden – beschenkt, und diese Gaben des Schöpfers dankbar zu genießen.

 

Stefan Heine

Landesinspektor, Lichtenstein

 

 

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